Ein paar vom Acker aufgelesene Steinzeitbeile bildeten den Grundstock – heute umfasst die Sammlung des Scharbeutzer Regionalmuseums neben archäologischen Funden volkskundliche Gegenstände, alte Werkstätten, historische Maschinen sowie ein umfangreiches Buch-, Karten- und Fotoarchiv. Sie füllt etliche Ausstellungsräume und ein Depot. Initiator und langjähriger Museumsleiter (bis April 2023) war Dr. Kersten Jungk, der hier berichtet, wie alles begann.
Sie sind Arzt und haben jahrzehntelang eine Praxis in Scharbeutz geführt. Wie sind Sie auf Regionalgeschichte gekommen?
Es fing 1979 mit herbstlichen Spaziergängen an. Auf frisch gepflügten Äckern hatte ich zwei geschliffene Steinbeile gefunden. Archäologie hatte mich immer schon interessiert, also suchte ich weiter und fand mehr. Das war in den frühen 80er-Jahren nichts Ungewöhnliches – durch größere Traktoren und tieferes Pflügen wurden bislang nicht entdeckte uralte Steinwerkzeuge an die Oberfläche gebracht.
1980 lernte ich bei meinen Recherchen den Heimatforscher und ehemaligen Rektor der Schule Pönitz, Otto Jarchov, kennen. Er war neben Vielem anderen auch jahrelang Vertrauensmann für archäologische Bodendenkmäler gewesen. Mit ihm wanderte ich durch Ostholstein und über ihn kam ich mit dem Landesamt für Vor- und Frühgeschichte in Schleswig in Kontakt. Deren Leiter, Professor Reichstein, heuerte mich ein Jahr später als Bodendenkmalpfleger für den Altkreis Eutin an.
Mit der zehnjährigen ehrenamtlichen Bodendenkmalpflege wuchsen die Kenntnisse. Über Vorträge und als Dozent der VHS Scharbeutz lernte ich Landwirte und Sammler kennen und kümmerte mich um ihre privaten Sammlungen, deren Aufarbeitung und Unterbringung. An einen Verein oder gar ein Museum dachte ich bis Mitte der 80er-Jahre nicht im Entferntesten.
Wie kam es dann doch dazu?
Nach dem Tod meines Mentors Otto Jarchov 1986 drohte seine große steinzeitliche Sammlung durch Erbteilung auseinandergerissen und zum Teil in andere Bundesländer gebracht zu werden. Wie konnten diese geschichtlich wertvollen Funde für Schleswig-Holstein erhalten werden? Das Landesamt in Schleswig fand eine pragmatische Lösung: Die steinzeitlichen Funde wurden zu kulturhistorisch wichtigen Objekten erklärte, die dem Denkmalschutz unterstanden und deshalb nicht veräußert oder außer Landes gebracht werden durften. Sie blieben aber im Besitz der Familie.
Außerdem galt es, die archäologische Sammlung in der Schule Pönitz – Otto Jarchov war mit seinen Schülern viel über Wiesen und Felder gewandert auf der Suche nach Relikten früherer Zeiten – sowie Reste der Schulsammlungen aus Gronenberg und Sarkwitz zu erhalten.
Wo wurden denn diese Sammlungen untergebracht?
1986 überließ mir die Gemeinde Scharbeutz 50 Quadratmeter im Heinz-Kiecksee-Haus in Haffkrug; hier war also die Keimzelle unseres heutigen Regionalmuseums. Leider musste ich den Raum schon bald wieder räumen, weil der Kindergarten „Kiko“ den Platz benötigte. Daraufhin wies man mir 1988 eine Ecke auf dem Dachboden der Schule Pönitz zu, wo unter anderem die Weihnachtsbeleuchtung der Gemeinde, Theaterdekorationen und Schulmobiliar lagerten. Ich war nicht begeistert – Pönitz liegt abseits der Touristenströme; und ich war bis dahin ein Einzelkämpfer. Das änderte sich, als der Dorfvorsteher Walter Steen und der pensionierte Lehrer Stephan Lindner dazukamen. Sie waren von der Idee eines Museums überzeugt und machten mir Mut, es doch hier zu versuchen. Gemeinsam gründeten wir noch 1988 den „Verein für Heimatgeschichte der Gemeinde Scharbeutz und Umgebung e.V.“ Diese kleine Gruppe, die schnell wuchs, akzeptierte den Standort Pönitz und wollte etwas daraus machen.
Das heißt, so richtig los ging es mit dem Museum auf einem Dachboden?
Ja, schon nach zwei Jahren hatten hatten wir den Speicher zur Hälfte ausgebaut und belegten eine Fläche von 600 Quadratmetern. In dieser ersten Zeit blieb unsere Tätigkeit aber mehr im Verborgenen: sammeln, sichten, restaurieren und vorantreiben des Innenausbaus. Und wir blieben dort bis zur Jahrtausendwende, quasi in einer Museumswerkstatt, denn ein Teil der Fläche diente als Depot und als Werkstatt. Der Schulboden, mittlerweile auf 900 Quadratmetern voll ausgebaut, lief über vor Exponaten.
Wie sind Sie dann an das heutige Gebäude gekommen?
Seit 1996 suchten wir dringend nach einer Unterkunft, die bessere Voraussetzungen für den Betrieb eines Museums bot. Die finanzielle Basis dazu kam durch den Nachlass eines Mitglieds, des ehemaligen Studienrats und begeisterten Heimatforschers Hermann Schulze-Koops, der dem Verein 200.000 D-Mark vermachte. Eher zufällig kam ich mit Hermann Stumpf ins Gespräch, dem Eigentümer der leer stehenden Schlachterei in der Lindenstraße, der sich wunderte, dass wir nicht schon früher zu ihm gekommen seien, er würde gern ein Museum in seinem Haus sehen. Wir wurden uns schnell einig. Zunächst bauten wir ab 2000 mit finanzieller Unterstützung der Gemeinde Scharbeutz den gewerblichen Teil um und richteten dort das Museum ein. Das Ehepaar Stumpf behielt Wohnrecht im anderen Trakt. Seit dem Tod der beiden – Elsa Stumpf starb 2005, Hermann Stumpf 2008 – ist das Gebäude ganz im Besitz des Vereins.
Heute sind im Regionalmuseum längst nicht mehr nur steinzeitliche Beile zu besichtigen…
Wir verfolgten von Anfang an das Konzept, die Geschichte unseres ländlichen Raums um die Großgemeinde Scharbeutz von der ersten Besiedlung bis heute sichtbar zu machen. Diese Region war immer besiedelt, es gibt Zeugnisse aus fast allen Perioden. Was uns dann aber doch überrascht hat, war die Menge an Objekten, die uns aus der Bevölkerung zugetragen wurden. So wechselte unser Sammlungsschwerpunkt allmählich zur Volkskunde. Dieser Themenbereich umfasst Leben, Wohnen und Arbeiten im 19. und 20. Jahrhundert; die Sammlung reicht von altem Handwerkzeug über Kleidung und Spielzeug bis zu Notgeld und Gegenständen aus der Kriegs- und Nachkriegszeit.
Außerdem wuchs durch die Spendenfreudigkeit der Bevölkerung unsere kleine Bibliothek, die schnell neben Büchern auch Dokumente, Karten und alte Fotografien umfasste.
Verein und Museum führen mittlerweile nicht mehr „Heimat“, sondern „Region“ im Namen, warum?
Vor allem unser archäologische Sammlungsbereich war längst über die zehn Dörfer der Gemeinde Scharbeutz hinausgewachsen und bezog sich auf die gesamte Region der Lübecker Bucht: von Ahrensbök im Westen bis Neustadt im Norden und Travemünde im Süden. Das wollten wir mit dem Namenswechsel deutlich machen.